Interview mit Matthias Brand
Herr Brand, herzlichen Glückwunsch zur Verlängerung Ihrer Forschungsgruppe „Affective and Cognitive Mechanisms of Specific Internet-use Disorders“ (ACSID)! Rund fünf Millionen Euro hat die DFG für die nächsten drei Jahre bewilligt.
Vielen Dank! Wir freuen uns wirklich sehr, dass wir unsere Forschung weiterführen können. Die neue Förderperiode bringt einige neue Themen mit, zu denen wir hoffentlich wichtige Beiträge leisten können.
Ihre Forschung ist hochaktuell: Sie untersuchen Verhaltenssüchte, die diesem Fall speziell online-bezogene. Welche sind das?
Wir konzentrieren uns auf vier Haupttypen: die Online Gaming Disorder, also die Computerspielsucht, die Online-Buying-Shopping Disorder, also Online-Kaufsucht, und schließlich die problematische Nutzung von sozialen Netzwerken und von Internet-Pornografie.
Wie untersuchen Sie diese Phänomene?
Die ACSID ist eine transregionale Forschungsgruppe, verteilt über viele Standorte in Deutschland, allerdings mit einem klaren Fokus an der Universität Duisburg-Essen. An allen diesen Standorten arbeiten wir mit einer Kernbatterie von Interviews, Fragebögen und experimentellen neurokognitiven Aufgaben, die mit allen Probandinnen und Probanden in gleicher Weise durchgeführt werden. Das gibt uns die Möglichkeit, diese Daten zu aggregieren und übergeordnet auszuwerten. Daneben hat jedes Teilprojekt zusätzlich seine eigenen Paradigmen.
Das hört sich aufwändig an.
Die Kernbatterie alleine dauert vor Ort schon fünf Stunden, das ist wirklich sehr umfangreich. Hinzu kommt ein so genanntes Ambulatory Assessment: Nach dem Besuch in unseren Laboren füllen die Teilnehmenden 14 Tage lang zu Hause jeden Abend Fragebögen über ihren Alltag aus. Und schließlich haben wir noch ein Sechs-Monats-Follow-Up, bei dem die Personen erneut zur Nutzung der jeweiligen Applikationen und zur Symptomatik befragt werden. Für die zweite Förderperiode planen wir nun, möglichst viele dieser Personen noch einmal einzuladen und zu befragen, so dass wir am Ende einen Drei-Jahres-Vergleich haben.
Über das von Ihnen geleitete CeBAR, das Center for Behavioral Addiction Research, bringen Sie Ihre Forschung künftig auch in das C-TNBS ein. Was erhoffen Sie sich von der Zusammenarbeit?
Zum einen möchten wir das Thema Verhaltenssüchte auch in der medizinischen Fakultät stärker verankern. Deswegen freut es mich auch, dass ich jetzt die sogenannte Gleichstellung an der Medizinischen Fakultät habe, also Mitglied der Medizinischen Fakultät bin, auch wenn meine Heimat die Fakultät für Informatik bleibt. Und das CeBAR ist nun am C-TNBS angesiedelt. So können wir unsere Forschung näher an die Patientinnen und Patienten bringen. Dafür eignet sich natürlich besonders der neurowissenschaftliche, translationale Ansatz des C-TNBS. Und zum anderen hoffen wir natürlich auf spannende Kooperationsmöglichkeiten mit anderen Forschungsgruppen innerhalb des C-TNBS. Hier bieten sich für uns viele Synergien, die wir nutzen möchten.
Bedeutet eine größere Nähe zu den Patientinnen und Patienten auch, dass Sie mit Ihrer Forschung in Richtung Therapie vorstoßen?
Wir haben in der zweiten Förderperiode mehrere Machbarkeitsstudien vorgesehen, in denen wir untersuchen werden, wie man mit Interventionen bestimmte psychologische Prozesse zum Nutzen von Betroffenen verändern kann. Das ist allerdings noch ein ganzes Stück weg von einer Therapie. Unser klarer Schwerpunkt bleibt die Forschung – aber die soll ja auch dem Menschen nützen. Und ich bin davon überzeugt, dass wir diesen translationalen Aspekt innerhalb des C-TNBS durch die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen aus dem klinischen Bereich vorantreiben können.
Haben Sie da schon Beispiele im Blick?
Wir haben mit mehreren Akteurinnen und Akteuren inhaltliche Gemeinsamkeiten. Ein Beispiel ist das Thema Schmerz, das unter anderem meine Kollegin Prof. Bingel intensiv bearbeitet: Einige Verhaltensweisen, deren belohnende Wirkung wir aus der Suchtforschung kennen, können auch eingesetzt werden, um von Schmerzen abzulenken, was aber längerfristig zu Problemen führen kann. Umgekehrt entwickeln Gaming-Süchtige durch das lange Sitzen oft chronische Schmerzen. Solche Parallelen sehe ich an vielen Stellen innerhalb des C-TNBS, und deswegen freue ich mich schon auf die Zusammenarbeit!