Erstaunlich aktiv: Immunreaktion gegen Hirntumore
Unser Gehirn ist durch die Blut-Hirn-Schranke vom restlichen Körper abgeschirmt. Lange Zeit galt die Annahme, dass das Immunsystem dort nur begrenzt aktiv sei. Für Patientinnen und Patienten mit einem Hirntumor schien das eine schlechte Nachricht zu sein, da die körpereigene Abwehr gegen die Krebszellen als schwach eingeschätzt wurde. Eine in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Medicine“ veröffentlichte Studie gibt jedoch Anlass zu neuer Hoffnung: Sie zeigt, dass Gehirntumore durchaus vom Immunsystem in Schach gehalten werden können und eröffnet damit neue Perspektiven für zukünftige Therapien.
Für ihre bahnbrechende Forschung untersuchten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Deutschen Konsortiums für Translationale Krebsforschung (DKTK) am Westdeutschen Tumorzentrum Essen (WTZ) gemeinsam mit Neurochirurgen des Zentrums für Translationale Neuro- und Verhaltenswissenschaften (C-TNBS) Gewebeproben von Patientinnen und Patienten mit Glioblastomen, der häufigsten bösartigen Hirntumorart im Erwachsenenalter. Im Knochenmark des Schädelknochens, in unmittelbarer Nähe zum Tumor, entdeckten sie nicht nur eine überraschend hohe Anzahl an Immunzellen, sondern auch besonders potente, zytotoxische T-Lymphozyten, die den Tumor bekämpfen können. Diese lokale Organisation der Immunabwehr war bislang unbekannt und eröffnet neue Möglichkeiten, das körpereigene Potenzial dieser Immunzellen therapeutisch zu nutzen.
„Die Ergebnisse waren wirklich unerwartet“, betont die Erstautorin der Studie, Celia Dobersalske. „Wir haben hochpotente Immunzellen entdeckt, die in der Lage sind, Tumorzellen effektiv zu bekämpfen – und das an einem Ort, an dem sie niemand vermutet hätte: im Knochenmark der Schädeldecke.“ Diese Entdeckung ist auch deshalb bedeutsam, weil die Schädeldecke bei der chirurgischen Entfernung des Tumors geöffnet wird. Dabei könnten ungewollt lokale Knochenmarknischen beschädigt und wertvolle Immunzellen zerstört werden.
„So können wir möglicherweise das Wachstum von Glioblastomen kontrollieren und die Überlebenschancen unserer Patientinnen und Patienten verbessern“
„Wir wissen jetzt, dass hochpotente Abwehrzellen vor Ort vorhanden sind“, erklärt Prof. Björn Scheffler, Direktor der DKFZ-Abteilung für Translationale Neuroonkologie am WTZ. „Sie sind bereit für den Kampf gegen den Tumor, können diesen jedoch nicht allein besiegen. Hier setzen wir an, beispielsweise durch eine lokale Überwachung der Nische oder die gezielte Stärkung der Zellen vor Ort. Gelingt dies, könnten wir das Wachstum von Glioblastomen möglicherweise kontrollieren und die Überlebenschancen unserer Patientinnen und Patienten verbessern.“
Um diese Ansätze weiterzuentwickeln, erhielt das Team um Prof. Scheffler vom Bundesministerium für Bildung und Forschung eine Anschlussförderung in Höhe von einer Million Euro. Die Neurochirurgen Prof. Ulrich Sure und Priv.-Doz. Dr. Laurèl Rauschenbach ergänzen: „Mit der Förderung wollen wir Strategien entwickeln, um diese Abwehrzellen zu schützen, zu gewinnen und zu stärken, um eine akzentuierte körpereigene Immunantwort gegen Glioblastome hervorzurufen.“