„Gentherapien eröffnen uns ganz neue Möglichkeiten“
Die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) ist eine seltene, X-chromosomale neuromuskuläre Erkrankung. Den Betroffenen fehlt aufgrund einer pathogenen Genvariante funktionelles Dystrophin, was bereits ab der Geburt zu einer fortschreitenden Beeinträchtigung motorischer Funktionen, zum Verlust des Gehvermögens und zu lebensbedrohlichen kardiorespiratorischen Komplikationen führt. Prof. Ulrike Schara-Schmidt, leitende Ärztin Kinderneurologie am Universitätsklinikum Essen, berichtet über eine zukunftsweisende Studie zur Gentherapie der Krankheit.
Frau Schara-Schmidt, Sie haben an einer Phase-3-Studie zur Gentherapie bei Duchenne Muskeldystrophie (DMD) mitgewirkt. Wie weit sind wir heute mit dieser Technik?
Wir stehen noch ziemlich am Anfang, und trotzdem eröffnen uns Gentherapien schon ganz neue Möglichkeiten. Derzeit werden solche Therapien ja vor allem für seltene Krankheiten entwickelt, speziell in der Kinderheilkunde und hier besonders in der Kinderneurologie. Bei diesen Krankheiten gibt es meist nur wenige Behandlungsoptionen, und die vorhandenen Therapien sind nur begrenzt wirksam. Die Duchenne Muskeldystrophie ist so ein Beispiel: Die Krankheit ist mit heutigen Methoden nicht heilbar, auch bei der Gentherapie geht es nur um eine Verlangsamung der Progression.
In nature medicine berichten Sie von einigen Verbesserungen für die Patienten. Der primären Endpunkt der Studie wurde jedoch nicht erreicht: Der so genannte NSAA-Score, eine Skala zur Bewertung der motorischen Fähigkeiten von DMD-Patienten, verbesserte sich insgesamt nicht hinreichend. Ist das keine Enttäuschung?
Wir hätten uns natürlich eine signifikante Verbesserung gewünscht. Aber wenn wir auf die sekundären Endpunkte blicken, sehen wir doch deutliche Fortschritte: Die mit der Gentherapie behandelten Jungen im Alter von vier bis acht Jahren konnten im Vergleich zur Kontrollgruppe schneller aufstehen, schneller laufen, besser Treppen steigen. Auch in den USA, wo die Therapie für Kinder ab vier Jahren bereits zugelassen ist, berichten die Kolleginnen und Kollegen von Verbesserungen, gerade auf längere Sicht.
In Ihrer Studie geht es um die Ergebnisse nach zwölf Monaten. Haben Sie inzwischen auch längere Erfahrungswerte?
Es werden gerade Daten über einen längeren Nachbeobachtungszeitraum ausgewertet, die sind allerdings noch nicht publiziert. Zwölf Monate sind eigentlich zu kurz, um die Effektivität und die Sicherheit einer Gentherapie zu beurteilen. Es ist aber auch nicht realistisch, Studien etwa über mehrere Jahre hinweg durchzuführen. Deswegen sammeln wir strukturiert nach Studienende weiter Daten, um die Wirksamkeit und Sicherheit der Therapie auf lange Sicht besser beurteilen zu können.
Lässt sich die Gentherapie denn noch verbessern?
Die Arbeit zu und mit Gentherapien ist längst nicht abgeschlossen, da gibt es noch viel zu verbessern. Wir sehen zum Beispiel, dass die Therapie nicht bei allen Patienten gleich wirkt – da ist noch viel Forschung nötig. Auch das richtige Alter ist ein wichtiger Faktor: Einerseits möchten wir möglichst früh eingreifen, um den Krankheitsprogress zu beeinflussen; andererseits wirkt die Therapie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt besser. Hier muss der optimale Zeitrahmen noch gefunden werden. Und schließlich ist es wichtig, den Vektor, also das Vehikel für den Gentransfer, so zu verbessern, dass er möglichst viel von dem Gen übertragen kann. Das für DMD verantwortliche Gen ist sehr groß, so dass wir uns immer auf einzelne Bereiche konzentrieren müssen. Vielleicht brauchen wir auch zwei Vektoren? Wie gelingt es uns, den Vektor wirklich in alle verantwortlichen Zelltypen zu bringen? Und wie verhindern wir, dass das Immunsystem der Behandelten dabei die Sicherheit gefährdet? Das sind viele Stellschrauben, an denen wir noch drehen müssen, und jede davon kann zu einer Verbesserung der Therapie beitragen.