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Herr Mayerl, in der Zeitschrift „Progress in Neurobiology“ hat Ihre Arbeitsgruppe kürzlich die Ergebnisse Ihrer Doktorandin Andrea Alcaide Martin veröffentlicht. Worum geht es darin?

Frau Alcaide Martin hat sich mit den Krampfanfällen beschäftigt, die für schwere Fälle von AHDS typisch sind. Obwohl diese Anfälle häufig beobachtet werden, ist bisher nicht bekannt, wie sie zustandekommen. Wir wollten wissen, was auf molekularer Ebene zu diesen Krämpfen führt.­

AHDS ist bisher wenig untersucht, auch weil die Krankheit selten diagnostiziert wird. Die molekularen Ursachen sind erst seit etwa 20 Jahren bekannt, und bis heute sind lediglich ein paar hundert Fälle beschrieben. Sie arbeiten daher meist mit einem Mausmodell, bei dem einerseits der MCT8-Transporter stillgelegt ist und andererseits ein weiteres Transportprotein, Oatp1c1, das bei Nagetieren Teile der Funktion von MCT8 übernehmen kann. War dieses Modell auch für diese Untersuchung geeignet?

Ja, wir konnten zeigen, dass die Doppel-Knockout-Mäusen tatsächlich ebenfalls krampfanfälliger sind. Im Gehirn der Tiere war außerdem eine starke neuronale Aktivierung zu erkennen. Daraufhin haben wir uns das Neurotransmittersystem der Tiere angeschaut, und zwar vor allem im Hippocampus, der aufgrund seiner Plastizität stark von epileptischen Krampfanfällen betroffen ist. Dabei haben wir festgestellt, dass das ganze Neurotransmittersystem dereguliert war.

Was passiert da genau?

Wir haben Beeinträchtigungen an mehreren Stellen gesehen: im GABAergen-inhibitorischen System, bei den exzitatorischen Glutamat-Rezeptoren und auch im cholinergen System. Diese Systeme haben diverse regulatorische Aufgaben im Gehirn und müssen im Gleichgewicht sein. Kippt die Balance, ist die Gehirnfunktion gestört, und es kann unter anderem zu epileptischen Krampfanfällen kommen. Überraschend ist dabei, dass an diesen Vorgängen offenbar nicht nur Neurone beteiligt sind, sondern auch Astrozyten. Das möchten wir im nächsten Schritt tiefgehender untersuchen.

Inwieweit haben Ihre Erkenntnisse auch einen therapeutischen Nutzen?

Unsere Mausmodelle nutzen wir auch für präklinische Studien. Da waren wir in den vergangenen Jahren schon an einigen beteiligt. Ein therapeutischer Ansatz ist dabei, den MTC8-Transport zu umgehen mithilfe von Substanzen, die über andere Wege ins Gehirn gelangen, aber am Schilddrüsenhormon-Rezeptor eine ähnliche Wirkung entfalten.

Ist dieser Ansatz erfolgreich?

Teilweise. Am besten untersucht ist das Schilddrüsenhormon-Analog Triiodothyroacetat, kurz TRIAC. Die Substanz wurde bereits an Patienten getestet, und sie wirkt in der Peripherie gut. Aber auf die Hirnentwicklung scheint TRIAC leider keinen großen Einfluss zu haben. Das liegt vermutlich daran, dass wir zu spät eingreifen: Wenn AHDS bei einem Patienten diagnostiziert wird, sind wesentliche Teile der Gehirnentwicklung meist schon abgeschlossen. Andere therapeutische Ansätze befinden sich noch im experimentellen Status, zum Beispiel Gentherapien. Spannend sind auch Versuche mit Phenylbutyrat: Das ist ein molekularer Faltungshelfer, der zumindest in den Fällen wirken könnte, in denen der MCT8-Transporter aufgrund einer Mutation nicht seine richtige Konformation einnimmt.

In Ihrer eigenen Forschung wenden Sie sich nun einem weiteren Thema zu, für das die Deutsche Forschungsgemeinschaft gerade Ihren Einzelantrag genehmigt hat. Worum geht es darin?

Wir möchten uns die Wirkung von Schilddrüsenhormonen auf adulte Gehirnfunktionen genauer ansehen. Sogar bei Erwachsenen spielen diese Hormone noch eine wichtige Rolle im Zentralen Nervensystem, etwa indem sie die Neubildung von Nervenzellen im Hippocampus regulieren. Dieser Prozess hat große Auswirkungen auf Lern- und Gedächtnisfunktionen des Gehirns. Mit verschiedenen konditionalen Knockout-Mausmodellen werden wir die Bedeutung von Schilddrüsenhormonen für diesen Prozess direkt in der neurogenen Linie und indirekt in Stammzell-Nischenzellen untersuchen.