
Was schädigt das Gehirn Frühgeborener?
Frühgeborene Kinder kommen in einer kritischen Phase der Gehirnentwicklung zur Welt. Ihr noch unreifes Nervensystem reagiert empfindlich auf störende Einflüsse. Trotz insgesamt deutlich verbesserten Überlebensraten zeigt ein erheblicher Teil der Kinder, je nach Geburtstermin und -gewicht, kognitive Defizite, viele bleiben gar dauerhaft geistig behindert.
Verantwortlich dafür können mehrere Faktoren sein, darunter neben dem schädigenden Einfluss von Medikamenten vor allem Entzündungsprozesse und ein Ungleichgewicht der Sauerstoffversorgung. Die postnatale Hyperoxie spielt dabei eine besondere Rolle: Im Vergleich zur Situation in der Gebärmutter sind Kinder nach der Geburt einem sehr viel höheren Sauerstoffpartialdruck ausgesetzt. Würde man diesen Wechsel auf Erwachsene übertragen, wäre es mit einem Sprung vom Mount Everest auf Normalnull vergleichbar. Insbesondere die sich spät entwickelnden Organe wie das Nervensystem und die Lunge Frühgeborener sind darauf nicht vorbereitet und reagieren sehr empfindlich auf diese Noxen.
Wie diese Faktoren zusammenwirken und wie man das kindliche Gehirn vor ihren Auswirkungen schützen kann, erforscht der Lehrstuhl Experimentelle perinatale Neurowissenschaften in der Klinik für Kinderheilkunde I unter der Leitung von Prof. Ivo Bendix. Die Forschenden konzentrieren sich dabei auf die Entwicklung geeigneter Tiermodelle, um die molekularen Mechanismen der Schädigungen aufzuklären und mögliche therapeutische Ansätze zu testen.
Neue Tiermodelle erlauben es, innovative Therapien zu überprüfen
Zwei neue Modelle mit Wistar-Ratten haben Bendix und sein Team in den vergangenen Monaten publiziert, die jeweils mehrere der Risikofaktoren darstellen können: eines für pränatale Entzündungsprozesse verbunden mit postnataler Hyperoxie und ein weiteres für eine simultane Schädigung des Gehirns und der Lunge durch Sauerstoff.
Gerade die Kombination mehrerer Schädigungen ist dabei bedeutsam: Nur so lassen sich additive und synergistische Effekte der Einflussfaktoren erforschen, wie sie in der klinischen Realität der Regelfall sind. „Diese neu etablierten Modelle bilden nicht nur die Grundlage für die Überprüfung neuartiger Behandlungskonzepte, wie z. B. regenerativer Stammzell-basierter Therapien. Sie ermöglichen auch die grundlegende Erforschung der komplexen Interaktion von multiplen Organen wie der Lunge und dem Gehirn“, erklärt Prof. Ivo Bendix.
Die Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I, Prof. Ursula Felderhoff-Müser, ergänzt: „Daneben gerät die Darm-Gehirn-Immunachse immer mehr in den Fokus unserer Forschung. Diese komplexen Wechselwirkungen wollen wir zukünftig besser in der perinatalen Hirnschädigung verstehen, und wir sind sehr froh, hier in Essen optimale Forschungsbedingungen in diesem national und international wenig beforschtem Gebiet vorzufinden.“
Foto oben: Die Arbeitsgruppe Experimentelle perinatale Neurowissenschaften mit ihrem Leiter Prof. Ivo Bendix (3. v. r.) und der Direktorin der Klinik für Kinderheilkunde I, Prof. Ursula Felderhoff-Müser (5. v. r.)