
Welche Rolle spielen Herpesviren bei der Alzheimer-Krankheit?
Dr. J. Alexander Ross, Laborleiter am Lehrstuhl für Geriatrie von Prof. Richard Dodel, über neue Erkenntnisse in der Alzheimer-Forschung und die Frage, wie wir Erkrankungen des Gehirns früher erkennen können
Herr Ross, schon seit längerer Zeit gibt es Hinweise darauf, dass die Alzheimer-Krankheit zumindest in einigen Fällen mit einer Herpesvirus-Infektion im Zusammenhang steht. Wie kann denn ein Virus, das normalerweise nur lästige Lippenbläschen hervorruft, in Prozesse im Gehirn eingreifen?
Herpesviren haben ja die Besonderheit, sich in unserem Körper einzunisten. Das Herpes-simplex-Virus verbleibt nach einer ersten Infektion normalerweise inaktiv im Soma der Gesichtsneuronen. Durch bestimmte Faktoren wie etwa Stress kann das latente Virus reaktiviert werden, es reinfiziert das umliegende Gewebe, und die typischen Herpesbläschen treten auf. Es kann aber auch passieren, dass das Virus weiter in das zentrale Nervensystem wandert. In diesem Fall kommt es unter Umständen zu einer Herpes-Enzephalitis, also einer Gehirnentzündung.
Das hört sich dramatisch an.
Ist es auch. Selbst wenn eine solche Enzephalitis erkannt und therapiert wird, sterben heute noch bis zu 30 Prozent der Betroffenen daran. Aber zum Glück verursachen die Viren lediglich in etwa einem von 500.000 Fällen einer HSV-Infektion eine Gehirnentzündung. Interessant ist dabei ein möglicher Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit: Ein zentrales Merkmal der Alzheimer-Pathologie ist die Ablagerung von Amyloid-Beta-Peptiden im Gehirn, die sogenannten Plaques. Es gibt Hinweise darauf, dass diese Peptide Teil eines Abwehrmechanismus sein könnten. So lagern sie sich offenbar auf Herpesviren ab, möglicherweise eine Art antivirale Schutzreaktion.
Dann wäre die Alzheimer-Krankheit sozusagen eine Nebenwirkung der körpereigenen Herpesabwehr?
So lautet jedenfalls eine etablierte Hypothese, mit der wir uns ebenfalls beschäftigen. Die Frage: Kämpft unser Körper gegen die Virusinfektion tatsächlich mithilfe einer erhöhten Amyloid-Beta-Produktion – zu dem Preis einer späteren Plaquebildung und einer möglichen Alzheimer-Krankheit? Wir wissen jedenfalls, dass Patienten, die keine antivirale Therapie erhalten haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit haben, eine Alzheimer-Krankheit zu entwickeln. Und da ist es natürlich spannend zu untersuchen, ob umgekehrt eine gezielte antivirale Therapie möglicherweise das Risiko für die Alzheimer-Krankheit verringern kann.
Das müsste man sehr langfristig untersuchen, denn mit Herpes infizieren sich die meisten schon früh im Leben.
Wir reden hier locker über einen Zeitraum von 50 Jahren Entwicklung im Körper. Das macht das Ganze so schwierig zu verfolgen. Aber wenn die Annahme zutrifft, wird das ein Lifetime-Projekt.
Wobei es Ihnen nicht an Projekten mangelt. Neben diesem präventiven Ansatz forschen Sie allgemein viel zum Verlauf von Demenzerkrankungen und der Frage, wie sich diese möglichst früh erkennen und verzögern lassen. Zuletzt haben Sie zusammen mit Prof. Richard Dodel einen kommentierenden Artikel zu einer Publikation in der Zeitschrift „Cell“ verfasst. Was war an dieser Arbeit so wichtig?
Die Kollegen haben versucht, neue Biomarker für eine möglichst frühe Beobachtung der Alzheimer-Krankheit zu finden. Dafür haben sie aus über 6000 Proteinen etwa 100 interessante Kandidaten identifiziert und diese dann mit bioinformatischen Mitteln auf letztlich sieben Marker eingegrenzt, welche den Verlauf der Erkrankung tatsächlich sehr präzise vorhersagen. Das Besondere war dabei, dass die Kollegen ihre Biomarker-Kandidaten zunächst in Personen mit einer erblichen Prädisposition für Alzheimer untersucht haben. So konnten sie auch Marker für sehr frühe Phasen der Erkrankung finden, lange vor dem Auftreten erster Symptome. Die Früherkennung ist für eine Therapie natürlich enorm wichtig, weil sie uns erlaubt, den Verlauf der Krankheit zu verzögern, noch bevor die Neurodegeneration eingesetzt hat.
Aber lassen sich die Ergebnisse aus Patienten mit erblicher Prädisposition überhaupt auf andere Formen übertragen?
Nein, nicht vollständig. Die sporadische Form von Alzheimer kann andere Ursachen haben als die genetisch prädisponierte. Sie zeigt mehr Vielfalt in ihrem Erscheinungsbild, und auch der Verlauf bei den Patienten und Patientinnen ist ein anderer. Dennoch ist die Idee richtungsweisend, weil sie uns erlaubt, die Krankheit in sehr frühen Phasen zu erkennen. Zu diesem Zeitpunkt wissen die meisten Betroffenen noch gar nichts von ihrer Erkrankung, und deshalb haben wir auch keinen Kontakt zu ihnen.
Lassen Sie diesen Ansatz auch in Ihre eigene Forschung einfließen?
Allein schon die identifizierten Biomarker sind spannend, und zwar nicht nur in Bezug auf die Alzheimer-Krankheit. Diese Proteine sind ja in bestimmte Prozesse in der Zelle involviert, die auch mit anderen Erkrankungen des Gehirns in Verbindung stehen können. Zuletzt haben wir in unseren Labors zum Beispiel nach Biomarkern gesucht für eine chronisch-traumatische Enzephalopathie in Folge von Gehirnerschütterungen, etwa nach Sportverletzungen. Dabei haben wir Parallelen zu neurodegenerativen Erkrankungen gefunden. Nun lohnt es sich natürlich zu untersuchen, inwieweit die Ergebnisse aus der Studie dorthin übertragbar sind. Oder auch bei Parkinson-Krankheit: Hier arbeiten wir an einer Früherkennung mittels Nasenabstrichen. Auch dafür könnten sowohl die Biomarker als auch das Studienkonzept hilfreich sein.
Das hört sich nach vielen, spannenden Möglichkeiten an!
In unserem Forschungsfeld gibt es einfach noch viel zu bewegen. Deshalb bin ich auch so dankbar für die Arbeit bei Prof. Dodel und das C-TNBS mit seinem Netzwerk, weil es uns einen produktiven Austausch mit anderen Forschenden erlaubt. Gerade für mich als junger Wissenschaftler ist das wahnsinnig wichtig.